Wiener Motorensymposium: Der Verbrennungsmotor ist noch lange nicht ausgereizt

Der Verbrennungsmotor bietet allen Unkenrufen zum Trotz nach wie vor großes Potenzial. Auf dem Wiener Motorensymposium wurden jetzt verschiedene Motorenkonzepte diskutiert. Während Mahle-Chef Wolf-Henning Schneider am Elektroantrieb wenig Positives ließ, warnte Volkswagen-Boss Matthias Müller vor „falschem Perfektionismus“.

Wiener-Motorensymposium-2017

Von Jens Meiners
Er hatte es in sich, der Vortrag von Mahle-Chef Wolf-Henning Schneider: Nachdem er die bekannten Klimaerwämungs-Szenarien aufgespannt und den erheblichen Beitrag von Pkw und Nutzfahrzeugen an den Treibhausgasen, nämlich zehn Prozent, erläutert hatte, ging er beim Wiener Motorensymposium ins Detail. Die Überraschung: Bei der vergleichenden Betrachtung von konventionellen Antrieben und Elektroantrieb sieht letzterer gar nicht so gut aus. Denn während bei der Herstellung eines konventionellen Autos rund fünf Tonnen CO2 anfallen, darf man bei batteriegetriebenen Autos von einer Verdoppelung ausgehen.

Und das bedeutet: Beim bundesdeutschen Stromnetz kann der Verbrenner erst einmal vier Jahre mit günstigerer CO2-Bilanz fahren, bevor das Elektroauto aufholt. Ein Auto mit Erdgasantrieb kann sogar acht Jahre lang emissionsärmer fahren – also rund ein Autoleben lang –, bevor ein Elektroauto theoretisch günstiger liegt. Noch eindrucksvoller wird die Betrachtung, wenn das Gasauto mit CO2-neutralen, sogenannten E-Kraftstoffen betrieben wird. Dann kommt zu den ursprünglichen fünf Tonnen CO2 nichts mehr hinzu, und selbst wenn man von dem utopischen Szenario ausgeht, dass Elektroautos an einem Netz von völlig emissionsfrei erzeugtem Strom hängen, können sie den Vorsprung des mit E-Gas betriebenen Verbrenners nicht mehr aufholen.

Das Elektroauto eine Mogelpackung? So drastisch muss man es nicht formulieren, aber das Bild der umweltfreundlichen E-Mobilität bekam auf dem diesjährigen Wiener Motorensymposium weitere tiefe Kratzer verpasst.

Dies gilt umso mehr, als im Verbrennungsmotor weiterhin gigantisches Potential liegt. Dabei konkurrieren Diesel- und Benzinantrieb mit Erdgasfahrzeugen, hinzu kommen unterschiedliche Formen der Hybridisierung. „Wenn die Kunden vom Benziner zum Diesel wechseln, kostet das 30 Prozent Verbrauch“, mahnt Michael Weissbäck vom Entwicklungsdienstleister AVL List. Besonders attraktiv hingegen ist der Erdgasantrieb: Er bringt erhebliche CO2-Einsparungen; die Industrie will nun dabei helfen, das Tankstellennetz massiv auszubauen.

Doch auch beim Dieselmotor herrscht Grund zu Optimismus – und das mag zunächst verwundern. Denn seit dem VW-Skandal lassen Politik und Umweltverbände nichts unversucht, um dem Selbstzünder den Garaus zu machen. Die Emissionsgrenzwerte für Euro-5- und Euro-6-Diesel waren anfangs unerfüllbar, und im Zusammenspiel mit den nationalen Behörden wurden die Fahrzeuge so ausgelegt, dass sie eigentlich nur in den „Testfenstern“ die angestrebten Werte zuverlässig erreichen. Zudem haben sich die Hersteller bis etwa 2014 stärker auf die CO2-Reduzierung als auf das Thema Stickoxide konzentriert.

Doch das Thema ist inzwischen technisch gelöst, und ironischerweise war es der VW-Konzern, der die neuen, extrem sauberen Diesel als erster auf den Markt gebracht hat. „Wir führen hier eine homöopathische Diskussion auf Molekülebene“, sagt Professor Thomas Koch vom Institut für Kolbenmaschinen in Karlsruhe, und fügt hinzu: „Diesel- und Ottomotoren sind so sauber, dass sie bei belasteter Stadtluft partikelseitig eine Reinigungsfunktion wahrnehmen.“

Es ist politischen Wünschen, aber auch dem Forscherdrang zu verdanken, dass die E-Mobilität dennoch zum festen Bestandteil des Motorensymposiums geworden ist; das Thema ist förmlich eingesickert, und tatsächlich können intelligente Formen der Hybridisierung und Elektrifizierung merkliche Vorteile bringen. So lassen sich mit starken Starter-Generatoren Boost-Funktionen realisieren, die Motoren können damit emissionsärmer ausgelegt werden. Und die Elektrifizierung der Nebenaggregate bei den neuen Reihen-Sechszylindern von Mercedes-Benz hilft dabei, den benötigten Extra-Bauraum zu kompensieren.

Zu den interessantesten Konzepten gehören elektrische Kompressoren, mit denen der turbotypischen Anfahrschwäche beim Gasgeben entgegengewirkt wird. Und die vergangenes Jahr im streng limitierten BMW M4 GTS vorgestellte Wassereinspritzung besitzt erhebliches Potential für Großserienanwendungen. Ein vom Entwicklungsdienstleister FEV aufgebauter Audi TTS liefert mit einem solchen System rund zehn Prozent mehr Leistung und 18 Prozent mehr Drehmoment; gleichzeitig sinkt der Verbrauch um rund zwei Prozent. Bei einer Probefahrt war das Leistungsplus überdeutlich zu spüren. AVL List holt mit einer Vielzahl von Maßnahmen sogar 349 kW / 474 PS aus dem 1,8-Liter-Motor des Alfa Romeo 4C – und das bei Zuverlässigkeit über mittlerweile fast 20 000 harte Testkilometer hinweg.

Und so wirkte der Abschlussvortrag von Matthias Müller wie ein Kontrastprogramm: Die Zukunft sei elektrisch, deklamierte der VW-Vorstandschef; schon in acht Jahren wolle man auf einen rein elektrischen Anteil von stolzen 25 Prozent kommen. Der hohe Börsenwert von Tesla sei ein Indikator dafür, dass Elektroautos dem Verbrenner den Rang abliefen; es komme beim Umstieg zur E-Mobilität jetzt auf die „richtige Mentalität und Haltung“ an. Und dazu gehöre auch der „Abschied vom falschen Perfektionismus“, so Müller: „Kann der Kunde auch mit 90 Prozent leben?“

Doch auch von diesen 90 Prozent, so lässt sich heuer in Wien resümieren, ist die E-Mobilität weit entfernt.

[Quelle, Bilder: ampnet/Jens Meiners)

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