Auf der TechShow 2017 präsentiert Continental ein Hörerlebnis der besonderen Art, das im September auf der IAA in Frankfurt erstmals dem Publikum vorgeführt wird: Das Auto wird für die Insassen zum Klangkörper. So kann auf die Lautsprecher verzichtet werden.
Darauf muss man erst einmal kommen: Was bei einem Saiteninstrument funktioniert, sollte auch im Fahrzeug umzusetzen sein. Wenn es gelingt, dann kann sich der Fahrzeughersteller den Einbau von Lautsprechern – von denen es im Auto weit über 30 Stück geben kann – völlig sparen. Der Technologiekonzern Continental hat sich ans Werk gemacht und zeigt, wie es künftig auf unkonventionellem Weg ordentlich „was auf die Ohren gibt“.
Herkömmliche Audiosysteme benötigen üblicherweise mehrere Lautsprecher und Kanäle, um ein dreidimensionales Klangerlebnis zu erzeugen. Und so summieren sich die Gewichte der einzelnen Komponenten zu einem wuchtigen Gesamtpaket. Genau bei diesem Ansatzpunkt werden die Autohersteller hellwach. Nicht nur dann, wenn es um Elektrofahrzeuge geht, bei denen um jedes Gramm Zusatzgewicht gefeilscht wird, sind leichtere Lösungen immer hoch willkommen. Und was „Conti“ mit seinem System verspricht, klingt sensationell: Die Abnahmekur der Audioanlage endet bei 10 Prozent des ursprünglichen Ballasts. Damit nicht genug, auch der Platzbedarf für den Einbau schrumpft auf denselben niedrigen Wert zusammen. Fast hätten wir es vergessen: Der Stromverbrauch geht natürlich auch zurück.
Der Leiter des Bereiches „Infotainment & Connectivity“, Johann Hiebl, kann seine Freude über den gelungenen Coup kaum zurückhalten. Denn normalerweise erstreckt sich das Wissen von Experten entweder auf Fahrzeuge oder auf Akustik. Dazu Hiebl: „Continental verfügt über Fachwissen in beiden Bereichen unter einem Dach und bringt zudem das Know-how für die Fertigung mit.“
Und wie funktioniert das Ganze? Im Prinzip übernehmen Innenflächen des Autos mit ihren Schwingungseigenschaften die Aufgabe, die im Lautsprecher die Membran erfüllt. Die Schallwellen werden durch kompakte Aktuatoren erzeugt, die dem Kern eines Lautsprechers ähneln. Diese Aktuatoren erregen im Fahrzeug bereits vorhandene größere Bauteile und Oberflächen, die den Klang abstrahlen. Dimitrios Patsouras, der bei Continental den entsprechenden Kompetenzbereich verantwortet, vergleicht das Verhalten der Fahrzeugteile mit einer Geige: „Ausgehend von diesem Bild entspricht der Aktuator dem Bogen und den Saiten. Der Steg der Geige entspricht der Lage und der Verbindung des Wandlers zur Oberfläche, welche wiederum den Klangkörper bildet“.
Für die drei Hauptfrequenzbereiche bieten sich jeweils bestimmte Elemente im Fahrzeuginnenraum an. Die Säulen der Windschutzscheibe (A-Säulen) sind für die hohen Frequenzen zuständig, während Türverkleidungen und Rückenverkleidungen der Vordersitze die Arbeit mit den mittleren Frequenzen übernehmen. Und ähnlich wie bei Lautsprechern sind es große Bauteile, die prima für niedrige Frequenzen geeignet sind, wie zum Beispiel die Dachauskleidung oder die Hutablage.
Will man mit herkömmlicher Technik guten 3-D-Klang erzeugen, sind die High-End-Systeme häufig auf zahlreiche Lautsprecher angewiesen. So kommen locker rund 15 Kilogramm zusammen – für Bauteile die gemeinsam um die 30 Liter Einbauraum beanspruchen. Dem lautsprecherlosen Audiosystem von Conti genügt je nach Ausführung dagegen nur ein Kilogramm Gewicht und ein Liter Bauraum. Zusätzlicher Vorteil bei der Autoproduktion: Der Aufwand beim Einbau reduziert sich drastisch. Bei einer ersten Probefahrt im Demonstrationsfahrzeug begeistert die bereits die im Versuchsfahrzeug erreichte Klangqualität.
Die lautsprecherlose Technik bietet zudem weitere Einsatzmöglichkeiten. Sie kann als Schallquelle für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine dienen – zum Beispiel bei Navigationsanweisungen oder Tonsignalen. Patsouras fasst den Ausblick so zusammen: „Die lautsprecherlose Technologie kann auch im Rahmen der Mensch-Maschine-Interaktion eingesetzt werden, wobei sich der zusätzliche Vorteil ergibt, dass der Ton an der Stelle erzeugt werden kann, auf die sich die Aufmerksamkeit des Fahrers richten sollte. Wir sind der Ansicht, dass das lautsprecherlose System ein großes Potenzial für funktionale Audiokonzepte birgt“.
Und wie beurteilen Experten das akustische Endergebnis? Martin Schleske – er ist renommierter Geigenbaumeister, studierter Physiker und betreibt eine Werkstatt in Landsberg – bestätigt dem System eine herausragende Klangqualität. Aber mit Worten lässt sich schwer beschreiben, wie der ganz anders erzeugte Klang empfunden wird. Wer sich das Hörerlebnis selber gönnen möchte, bevor die Technik in Serie geht, sollte auf der Frankfurter Automobilausstellung (IAA) im Herbst unbedingt mit gespitzten Ohren auf dem Stand von Continental vorbeischauen – oder besser gesagt: vorbeihören.
[Quelle: mid]