Ein Besuch in Audis Qualitätssicherung

Um die Produkt-Qualität bei Audi hochzuhalten, treibt der Autobauer einen immensen Aufwand. Die Spanne der Aktivitäten beginnt bereits bei der Entwicklung zukünftiger Modelle und reicht bis zur Kontrolle der laufenden Serie. Audi öffnete jetzt für einen Tag seine Türen und ließ sich in die Karten sehen.

Ein Besuch in Audis Qualitätssicherung
Halbleiterlabor: Röntgenblick ins Innere von elektronischen Bauteilen. © Audi

Wenn Werner Zimmermann, der seit vielen Jahren die Qualitätssicherung bei Audi leitet, das Wort ergreift, dann merkt man sofort, dass hier ein Überzeugungstäter spricht. Aber bei dem schnell gesagten Satz: „Qualität ist eine Kernkompetenz von Audi“, mag er es nicht bewenden lassen. Um außerdem für seine These: „Wir kommen in der Qualitätssicherung weg vom Prüfen und hin zum Steuern“ den Beweis anzutreten, durften wir dem Chef von rund 2.800 Mitarbeitern über die Schulter schauen.

Zunächst ist der Gast erdrückt von den vielen Facetten, die in dem Begriff Qualität bei einem Auto stecken. Besonders an den Stellen, an denen der Kunde das Auto mit allen Sinnen erleben kann, entscheidet sich, ob es auch als Qualitätsprodukt wahrgenommen wird. Es stellen sich Fragen wie: Kann er die Perfektion des Fahrwerks spüren? Kann er die akkuraten Spaltmaße der Karosserie – beispielsweise bei Türen und Hauben – oder die saubere Einpassung von Innenraumteilen selbst mit kritischem Blick sehen? Kann er die Materialqualität von Sitzen, Türverkleidungen und Armaturenbrettoberfläche fühlen? Die Antworten entscheiden darüber, ob der Käufer Qualität als „Premium“ oder billige Massenware wahrnimmt.

Qualität entsteht allerdings nicht erst während der Produktion eines Models. Je früher die Qualitätswächter in die Entwicklung eines Autos eingebunden sind, desto geringer ist die Gefahr, dass während der laufenden Produktion Fehler ausgebügelt werden müssen. Gemäß einer alten Faustregel („Zehnerregel“) aus der Branche, erhöhen sich die Kosten für einen nicht entdeckten Fehler im Lauf der Wertschöpfung von Stufe zu Stufe um den Faktor zehn. Zimmermann: „An der Qualität zu sparen, ist daher immer die teuerste Lösung.“ Kein Wunder also, wenn sich die Qualitätswächter schon bei der Diskussion über die Verwendung neuer Technologien zu Wort melden. Apropos Zukunft: Die Megatrends hin zu Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Urbanisierung rücken immer mehr in den Fokus der Qualitätstruppe.

Nach wie vor spielt bei Audi der „Meisterbock“ eine wichtige Rolle. Der Meisterbock ist einfach ausgedrückt eine Vorrichtung, in die eine komplette Karosse (auch mit Innenleben) so eingespannt werden kann, dass der Vergleich zu den exakten Messdaten der ursprünglichen Musterkarosse möglich wird. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch die Messmethodik des Meisterbocks revolutionär verändert. Brauchten früher noch hochsensible optische Messfühler 48 Stunden, um eine komplette Außenkarosserie mit über 6.000 definierten Messpunkten auf Abweichungen im Bereich von 0,1 Millimeter zu bewerten, erledigt die neue Photometrie-Messzelle diese Arbeit trotz inzwischen mehrerer Millionen Messpunkte in vier Stunden.

Ein Besuch in Audis Qualitätssicherung
Meisterbock: Dem optischen Abtaster der Karosserie entgeht nicht einmal die winzigste Abweichung von vorgegebenen Karosseriedaten. © Audi

Neben dieser klassischen und doch hochmodernen Qualitätssicherung beschleunigen weitere Methoden mit atemberaubender Geschwindigkeit. Ein Beispiel ist die Abteilung Halbleitertechnik. Das wundert nicht, denn automatisiertes Fahren, die Elektrifizierung des Antriebsstrangs sowie die immer stärkere Vernetzung der Autos untereinander lassen das Arbeitsfeld dieser Experten ausufern. Schon heute stecken im Auto bis zu 8.000 aktive Halbleiterbauelemente in bis zu 100 untereinander vernetzten Steuergeräten, von dem jedes eine größere Rechenleistung hat als die erste Mondrakete.

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Innenmeisterbock: Jedes Teil der Inneneinrichtung muss exakt platziert sein, um den Qualitätseindruck beim Kunden nicht zu verwässern. © Audi

Aber Halbleiter sind sensibel: Im Auto machen ihnen Temperaturunterschiede, Feuchtigkeit und Vibrationen zu schaffen. Außerdem muss die Lebensdauer der des Autos angepasst sein. Anders als bei einem Smartphone, das oft nach zwei Jahren schon auf dem Schrott landet, wird die Lebensdauer eines Autos mit 15 Jahren veranschlagt. Auch eine hypermoderne Rückleuchteneinheit in OLED-Technologie (OLED: Organic Light Emitting Diode) sollte in dieser Zeit zuverlässig und farbecht funktionieren. Ein klarer Fall für den Einsatz der Qualitäts-Experten, die ganz klare Standards erstellen, wie die Halbleitertechnik gestaltet sein muss, um in Auto eine Chance zu haben.

Aber wie soll man Bauteile beurteilen, in die man nicht hineinsehen kann. In diesen Fällen hilft die Werkstofftechnik weiter. Auch diese Fakultät ist längst darüber hinausgewachsen, einfach nur Metalle auseinanderzuschneiden, um unter Rasterelektronenmikroskopen Materialstrukturen zu beurteilen. Manchmal hilft die Röntgentechnik weiter. Aber um in ein vergossenes Display oder in ein elektronisches Bauteil einzudringen, in dem Drähte eingebettet sind – bis auf ein Zehntel der Dicke eines menschlichen Haares genau -, ist deutlich mehr Aufwand nötig. Doch es geht.

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Werkstoffprüfung: Kein Satellit für das Weltall sondern ein Rasterelektronenmikroskop, das per Ionenstrahl feinste Bohrungen im Material ermöglicht © Audi

Audi benutzt dazu seit vier Jahren einen fokussierten Ionenstrahl. Der gräbt sich ein für das menschliche Auge unsichtbares Loch in den Werkstoff. Das integrierte Rasterelektronenmikroskop erlaubt dann einen hochauflösenden Blick unter die Werkstoffoberfläche. Die typischen Schnitttiefen von 5 bis 50 Mikrometern werden in Schnittzeiten von zwei bis fünf Stunden erreicht, bei denen die Experten den Prozess live beobachten können. Letztlich kann der FIB (Focused Ion Beam) für fast alle Auto-relevanten Werkstoffe wie Metall, Glas, Keramik, Kunststoffe und Leder eingesetzt werden. Audi rühmt sich, der bisher einzige Autohersteller zu sein, der diese Technik einsetzt.

Auch die Welt der Versuchsfahrer, die mit Prototypen oder Vorserienmodellen auf der ganzen Welt unterwegs sind, hat sich geändert. Inzwischen sind die Berichte auf Papier oder per Computertabellen, die mühsam in Computer eingetippt wurden, ersetzt. Jetzt werden Daten per Tablet-Computer nahezu live in die Entwicklungszentren von Audi übertragen, sodass bei Anomalitäten sofort Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Auf ähnlichem Weg kommunizieren inzwischen auch Service-Partner mit dem Audi-Kundendienst. In diesen Fällen geht es zum Beispiel darum, mit modernster Technik vom Kunden beanstandete Geräusche zu eliminieren, die nur sehr schwer zu lokalisieren sind.

Ein Tag als Gast in der Qualitätswelt von Audi reicht natürlich nicht aus, um alle Methoden und Herausforderungen dieses schwierigen Jobs zu erleben. Wie sehr sich sein Arbeitsfeld in den letzten Jahren geändert hat, erklärt Zimmermann so: „Wir bewegen uns von der reinen Bauteilbetrachtung hin zu einer gesamtheitlichen Systembetrachtung.“ Und stolz fügt er schließlich hinzu: „Jeder meiner Mitarbeiter ist ein Botschafter für Qualität.“ Wie oft seine Botschafter bei der Jagd nach optimaler Qualität von den geizigen Kostenrechnern im Konzern eingebremst werden, bleibt das Geheimnis von Werner Zimmermann. Der hohe Qualitätsstand seiner Premium-Marke lässt allerdings vermuten, dass er sich und sein Team selten unterbuttern lässt. Er ist eben ganz Überzeugungstäter.

[Quelle: mid]

 

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