Das VW Werk Wolfsburg ist seit Jahrzehnten das industrielle Zentrum der Marke Volkswagen und gilt als größte zusammenhängende Automobilfabrik der Welt. Auf mehr als 6,5 Millionen Quadratmetern verbindet der Standort eine außergewöhnliche Fertigungstiefe mit komplexen Logistiksystemen, hochautomatisierten Produktionsprozessen und einer technischen Entwicklungslandschaft, die zu den bedeutendsten der Branche zählt. Dieser Beitrag beleuchtet das VW Werk Wolfsburg im Kontext aktueller technologischer, struktureller und industrieller Entwicklungen.

Historische Einordnung und industrielle Genese des Werks Wolfsburg
Das Werk Wolfsburg wurde 1938 gegründet und entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der prägenden Produktionsstandorte der deutschen Automobilindustrie. Mit dem Beginn der Serienfertigung des Volkswagen „Käfer“ ab 1945 entstand ein industrieller Knotenpunkt, der schnell internationale Bedeutung erlangte. In den 1970er-Jahren markierte der Übergang vom Käfer zum Golf eine technologische Zeitenwende, die den Standort bis heute prägt.
Obwohl die Historie weit zurückreicht, steht das VW Werk Wolfsburg heute stärker denn je für Zukunftsfragen: Wie lassen sich Plattformstrategien parallel fertigen? Wie verändert sich industrielle Produktion im Zeitalter von Elektrifizierung und Digitalisierung? Und welche Rolle spielen technische Entwicklungszentren in der Produktentstehung? Die Antworten darauf entstehen nicht selten in Wolfsburg.
Aktuelle Fertigung im Volkswagen Werk Wolfsburg
Die heutige Produktion umfasst vier zentrale Modellfamilien, die einen maßgeblichen Teil des Volumensegments von Volkswagen ausmachen: Golf, Golf Variant, Touran und Tiguan. Diese Modelle bilden die Grundlage eines Produktionsprofils, das auf hohe Stückzahlen, internationale Marktversorgung und flexible Variantenfertigung ausgelegt ist.
Das Volkswagen Werk Wolfsburg befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. In den kommenden zehn Jahren soll der Standort zu einem Mehr-Plattformen-Werk ausgebaut werden. Konkret bedeutet dies die parallele Fertigung von MQB-Modellen (Verbrenner und Hybrid), MEB-Modellen (Elektro) und perspektivisch SSP-Modellen (Software-Defined Architecture, autonomiefähig). Diese Architekturvielfalt stellt höchste Anforderungen an Logistiksysteme, Produktionslinien, Qualifizierungsprogramme und interne Materialflüsse.
Strukturelle Dimensionen: Das VW Werk Wolfsburg als globale Referenzgröße
Die Ausdehnung des Standorts ist einzigartig im globalen Vergleich. Mit 6,5 Millionen Quadratmetern Gesamtfläche und einer bebauten Hallenfläche von rund 1,6 Quadratkilometern gilt Wolfsburg als größte zusammenhängende Automobilfertigung der Welt. Die interne Infrastruktur verdeutlicht diese Größenordnung: Ein eigenes Straßennetz von 75 Kilometern und ein 60 Kilometer langes Schienennetz ermöglichen eine präzise vertaktete Logistik über mehrere Produktionsbereiche hinweg.
Die industrielle Leistungsfähigkeit reflektiert sich in den Produktionszahlen: 2023 wurden rund 490.000 Fahrzeuge gefertigt. Die Belegschaft umfasst etwa 70.000 Mitarbeitende, darunter Produktionsteams, Logistikfachkräfte, Entwicklungsingenieurinnen und -ingenieure sowie zahlreiche Beschäftigte in Verwaltung und Konzernsteuerung. Die Werkleitung liegt bei Uwe Schwartz, der die Transformation zur Mehr-Plattformen-Fertigung maßgeblich vorantreibt.
Produktionsabläufe und Fertigungstiefe im VW Werk Wolfsburg
Die Wertschöpfung beginnt im Presswerk, in dem Stahl- und Aluminiumcoils unter mehrstufigen Pressvorgängen in Strukturbauteile transformiert werden. Diese Bauteile durchlaufen anschließend den Karosseriebau, in dem hochautomatisierte Roboteranlagen Schweißpunkte setzen, Strukturteile fügen und Toleranzen im Submillimeterbereich überwachen. Digitale Messsysteme, kamerabasierte Prüftechnik und adaptives Fügen gewährleisten eine reproduzierbare Qualität über hohe Stückzahlen hinweg.
Die Lackiererei zählt zu den technologisch anspruchsvollsten Bereichen. Moderne Abluftsysteme, Wärmerückgewinnung, Vorbehandlungstechnik und automatisierte Lackapplikation senken Energiebedarf und Emissionen deutlich. Die Integration von Farb- und Schichtdickenkontrollen mit Inline-Messtechnik ermöglicht eine Qualitätsabsicherung in Echtzeit.
In der Endmontage laufen mechanische, elektrische und elektronische Module zusammen. Die Montagebänder sind so ausgelegt, dass sie unterschiedliche Derivate eines Modells und perspektivisch auch verschiedene Plattformen innerhalb definierter Taktzeiten verarbeiten können. Ergänzend zur Fahrzeugkomplettierung werden in Wolfsburg auch einzelne Komponenten gefertigt, etwa Innenraumsysteme, Strukturteile sowie Module für das Interieur.
Die Technische Entwicklung Wolfsburg als technologischer Beschleuniger
Mit rund 11.500 Beschäftigten gehört die Technische Entwicklung (TE) Wolfsburg zu den größten automobilen Entwicklungszentren Europas. Ihre Aufgaben reichen von Fahrwerks- und Karosserieentwicklung über Antriebsintegration, Elektrik- und Elektronikarchitekturen bis hin zur Softwareentwicklung.
Die TE ist eine Schlüsselinstanz für die zukünftige Ausrichtung der Marke Volkswagen. Sie bildet die Schnittstelle zwischen Forschung, Prototypenbau und Serienentwicklung. Beispiele für zentrale Entwicklungsfelder:
– Elektrifizierung bestehender Plattformen und Entwicklung neuer Batteriearchitekturen
– softwarezentrierte Fahrzeugarchitekturen (E/E-Entwicklung, Middleware, Over-the-Air-Funktionalitäten)
– Entwicklung und Absicherung von Assistenzsystemen bis hin zu hochautomatisiertem Fahren
– thermisches Management für Verbrenner- und Elektroantriebe
– digitale Entwicklungsverfahren und virtuelle Validierung
Durch die räumliche Nähe zur Produktion entsteht ein geschlossenes Innovationsökosystem – von der frühen Konzeptphase bis zur produktionsreifen Umsetzung in den Fertigungslinien des VW Werks Wolfsburg.
Nachhaltigkeit und Energieeffizienz als strategische Säule
Zwischen 2010 und 2025 konnte das VW Werk Wolfsburg seine umweltbezogenen Auswirkungen um 38,1 Prozent reduzieren. Diese Werte resultieren aus prozessualen Verbesserungen ebenso wie aus umfassenden Investitionen in die Energieversorgung. Seit 2019 erhöht das Werk seine Energieeffizienz jährlich um rund zwei Prozent.
Der größte Hebel liegt in den werkseigenen Energieanlagen: Volkswagen investierte rund 400 Millionen Euro in die Modernisierung der beiden Wolfsburger Kraftwerke, die bislang auf Steinkohle basierten. Die Umstellung auf hocheffiziente Gasturbinen senkt die CO₂-Emissionen um rund 60 Prozent beziehungsweise etwa 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Diese Reduktion entspricht dem jährlichen Ausstoß von rund 870.000 konventionell betriebenen Fahrzeugen.
Neben der Eigenversorgung des Werks speisen die Kraftwerke Fernwärme in das regionale Netz ein und beliefern zusätzlich Standorte wie Braunschweig, Hannover, Salzgitter, Kassel und Emden. Ergänzende Initiativen wie „No Plastic“, Grundlastoptimierung (<45 MW) und Energieeffizienzmaßnahmen von 35.000 MWh pro Jahr unterstreichen die ökologische Neuausrichtung des Standorts.
Transformation zum Mehr-Plattformen-Werk
Die Umstellung des VW Werks Wolfsburg auf parallele Plattformen stellt eine der anspruchsvollsten industriellen Aufgaben der kommenden Jahre dar. Die MQB-Fertigung bleibt ein Kernsegment, wird jedoch sukzessive ergänzt durch MEB-Strukturen für vollelektrische Fahrzeuge und die zukünftige SSP-Architektur. Die SSP-Plattform ist softwarezentriert, domänenbasiert und auf hochautomatisiertes Fahren ausgelegt – Anforderungen, die völlig neue Produktionslogiken mit sich bringen.
Die Herausforderungen sind vielfältig:
– Anpassung der Logistik für unterschiedliche Batterie- und Antriebsvarianten
– neue Montageprozesse für Hochvolt-Komponenten
– tiefgreifende Schulungsprogramme für zehntausende Mitarbeitende
– Umbau von Montagelinien, Infrastruktur und Versorgungslogistik
– Integration von Prüftechnik für softwaredefinierte Funktionen
Volkswagen hat bereits umfangreiche Qualifizierungsprogramme gestartet, um Mitarbeitende auf die Fertigung elektrischer und digitaler Fahrzeugplattformen vorzubereiten.
Industrielle Logistiksysteme und Infrastruktur im Werk Wolfsburg
Das VW Werk Wolfsburg verfügt über eines der komplexesten innerbetrieblichen Logistiksysteme der europäischen Automobilindustrie. Die werkseigene Bahnlogistik transportiert täglich Bauteile, Module und fertige Fahrzeuge über das interne 60-Kilometer-Schienennetz. Fahrerlose Transportsysteme, automatisierte Lagersysteme und digitalisierte Materialflusssteuerungen sichern die Versorgung der Linien.
Das 75 Kilometer lange Straßennetz verbindet Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei, Endmontage, Logistikzentren und Komponentenfertigungen. Die hohe Taktzahl und Variantenvielfalt erfordern ein präzises Zusammenspiel zwischen automatisierter und manueller Logistik. Die Nähe zur Stadtinfrastruktur ermöglicht zudem schnelle Lieferketten innerhalb der Zulieferregion.
Regionale Relevanz und wirtschaftliche Einbettung
Kaum ein anderer Standort in Deutschland beeinflusst seine Region so stark wie das Volkswagen Werk Wolfsburg. Die wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Stadt und Werk ist historisch gewachsen und prägt Infrastruktur, Arbeitsmarkt, Bildungslandschaft und regionale Innovationsstrukturen.
Zahlreiche Kooperationen mit Hochschulen – insbesondere mit der Ostfalia Hochschule und der TU Braunschweig – unterstützen Forschung in den Bereichen Mobilität, Produktionstechnik, Softwareentwicklung und Energieeffizienz. Zulieferercluster im Raum Wolfsburg-Braunschweig-Salzgitter bilden eine industrielle Wertschöpfungskette, die weit über den Standort hinauswirkt.
Das Volkswagen Werk Wolfsburg ist ein außergewöhnlicher Industriestandort. Es verbindet historische Bedeutung mit moderner Produktionstechnik, hoher Fertigungstiefe und einer starken technischen Entwicklungslandschaft. Seine Dimensionen, seine Produktionskapazität und die strukturelle Verzahnung von Entwicklung, Verwaltung und Fertigung machen es zu einem unverzichtbaren Baustein der weltweiten Strategie des Konzerns.
Mit der Transformation zum Mehr-Plattformen-Werk, den weitreichenden Investitionen in Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie der engen Zusammenarbeit zwischen Technischer Entwicklung und Produktion bleibt das VW Werk Wolfsburg auch künftig ein Schlüsselstandort – für Volkswagen, für die Region und für die gesamte deutsche Automobilindustrie.








