Technisch ist das selbstfahrende Auto bereits heute machbar. Doch bis das autonome Fahren in der Realität des Straßenverkehrs ankommt, ist es noch ein weiter Weg. Denn es sind noch zahlreiche Hürden zu bewältigen, nicht nur die allenthalben diskutierten rechtlichen Aspekte. Ein mögliches Problem ist etwa eine Überforderung des sich an die Technik gewöhnenden Fahrers, der bei einer Fehlfunktion dann doch eingreifen muss. Zudem sehen Psychologen potentiell Schwierigkeiten beim Wechsel auf ein Fahrzeug einer anderen „Automatisierungs“-Stufe. Und Mediziner warnen von Schwindel, Übelkeit und Erbrechen bei empfindlichen Autoinsassen, wenn sie die Straße nicht im Blick haben. Reibungslos wird der Übergang vom „Fahren“ zum „gefahren werden“ also nicht vonstatten gehen, vermuten die Experten des Fachsymposiums „Autonomes Fahren“ des Deutschen Instituts für Qualitätsförderung (DIQ) in Wuppertal. Hauptargument: Mensch und Maschine pflegen ein komplexes Verhältnis.
„Kein Notfall läuft so ab, wie er geplant ist“, pointiert es Flugkapitän Thomas Mildenberger, der sich mit Autopilot-Systemen auskennt. Systemausfälle seien selten, kämen aber nun mal vor. „Es gibt eine wichtige Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine“, so Mildenberger. Als Beispiel für kreatives menschliches Eingreifen nannte er die spektakuläre Notwasserung des Airbus A320 der US Airways auf dem Hudson River im Jahr 2009, bei der alle Passagiere überlebten. Kein Assistenzsystem der Welt hätte so intelligent eingreifen können wie die beiden Piloten. Aber es gebe auch Gegenbeispiele: Wenn bei einem Flieger die Hydraulik der manuellen Steuerung ausfällt, ist der Autopilot ein Lebensretter.
Moderne Assistenzsysteme befinden sich auch in fast allen neuen Pkw. Insbesondere bei den Premium-Herstellern ist die Liste der sicherheitsrelevanten Extras lang. Doch sind sie nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zum automatisierten Fahren, wie Maschinenbauingenieur Philipp Themann vom Institut für Kraftfahrzeuge (Ika) der RWTH Aachen erläutert. Warnzeichen vor zu dichtem Auffahren etwa gehören noch zur Stufe „null“ auf einer bis Stufe fünf reichenden Skala, die graduelle Unterschiede der Automatisierung anzeigt. Eine automatisierte Abstandsregelung oder ein Lenkassistent gehören lediglich zur Stufe eins. Bei Stufe zwei wird der Fahrer zum Beobachter des weitgehend automatisiert manövrierenden Pkws. Er hat aber die Möglichkeit, in kritischen Situationen einzugreifen. Das Auto parkt selbstständig ein, der Fahrer überwacht den Vorgang mit seinem Smartphone.
Die dritte Stufe bietet Entspannung pur: Der Insasse kann sich größtenteils auf andere Dinge konzentrieren, etwa die Zeitung oder sein Tablet-PC lesen. Nur in wirklich brenzlichen Situationen gibt es vom System eine Rückmeldung. Der Mercedes S 500, der im vergangenen Jahr nahezu autonom die Fahrt von Mannheim nach Pforzheim absolvierte, liege bereits zwischen Stufe vier (vollautomatisiertes Fahren) und fünf (autonomes Fahren). Lediglich das Auto von google aber sei ein rein autonomes Vehikel, da es weder Lenkrad noch Pedale habe.
Nun ist jedoch das technisch Machbare nur eine Seite der Medaille. Abgesehen von den vieldiskutierten ungeklärten rechtlichen Aspekten können auch Probleme entstehen, wenn Mensch und Maschine aufeinanderstoßen oder Fahrzeuge unterschiedlicher Automatisierungsstufen in komplizierte Verkehrssituationen geraten. Kritisch steht etwa Verkehrspsychologe Tobias Ruttke von der Uni Jena den neuen Techniken gegenüber: „Wenn der Fahrer einmal selber eingreifen muss, wird er gleich mit einer komplexen Aufgabe konfrontiert“, sagt Ruttke. Das sei vor allem dann gefährlich, wenn das System zuvor eine lange Zeit funktioniert habe. Der Fahrer komme sozusagen „aus der Übung“.
Weitere Risiken sieht der Diplompsychologe in der Sicherheits-Illusion, die manche Automatisierungs-Systeme schaffen würden, oder auch im fehlenden Sichtkontakt der Verkehrsteilnehmer untereinander. Zusätzliche Gefahren lauerten beim Fahrzeugwechsel. „Wenn ich einen Leihwagen fahre, der nicht die Sicherheitsausstattung hat, an die ich gewöhnt bin, muss ich mich spontan umstellen.“ Ganz gegen das automatisierte Fahren sei er zwar nicht. Jedoch: „Wir brauchen eine Fehler-tolerierende Technik.“
Auf Komplikationen, die selten diskutiert werden, kommt ein Mediziner zu sprechen: Frank Schmäl, Professor am Zentrum für HNO Münster. Das autonome Fahren bringe die bekannten Reisekrankheiten auf den Plan. Denn wenn empfindliche Menschen lange Zeit den Bewegungskräften eines Fahrzeuges ausgesetzt sind, ohne mit den Augen die vorbei fliegende Landschaft zu verfolgen, komme es leicht zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. „Kinetose“ heißt das aus Widersprüchen zwischen Gleichgewichts- und Sehorgan resultierende Krankheitsbild. Das Rezept dagegen klingt relativ einfach: Beim Fahren ab und zu nach draußen schauen. Die übrigen Schwierigkeiten dürften schwerer zu bewältigen sein.
Text: Lars Wallerang/mid