Mercedes-Benz integriert Steer-by-Wire in die Serie: Neue Möglichkeiten für Lenkdynamik und Fahrzeugarchitektur

Mit dem Start der Serienfertigung ab 2026 führt Mercedes-Benz Steer-by-Wire als neue Lenktechnologie ein. Die elektrisch übertragene Lenkbewegung eröffnet weitreichende Optionen in der Abstimmung von Fahrverhalten, Innenraumgestaltung und Sicherheitsarchitektur – und markiert einen strategischen Schritt hin zur software-definierten Fahrzeugplattform.

Fokus auf Fahrdynamik: Variable Übersetzung trifft Hinterachslenkung

Die Vorteile der entkoppelten Lenkung liegen für Ingenieure und Fahrzeugentwickler klar auf der Hand: Die Lenkübersetzung kann situativ variiert werden, was besonders bei wechselnden Geschwindigkeiten und Fahrsituationen Potenzial für eine spürbar bessere Balance aus Agilität und Komfort bietet.

Mercedes-Benz-Steer-by-wire

Zentral ist dabei das Zusammenspiel mit der aktiven Hinterachslenkung, die bis zu zehn Grad Einschlag bietet. Diese Kombination verbessert nicht nur das Manövrieren im urbanen Raum, sondern erhöht gleichzeitig die Fahrstabilität bei höherem Tempo – etwa auf Autobahnen oder bei dynamischer Kurvenfahrt.

Mercedes-Benz-Steer-by-wire

Simuliertes Feedback statt mechanischer Rückmeldung

Das klassische Lenkgefühl wird modellbasiert rekonstruiert. Dafür sorgt eine eigens entwickelte Einheit, die das typische Feedbackverhalten auf Basis von Sensorik und Software generiert. Fahrbahnstöße, die bislang mechanisch über die Lenksäule übertragen wurden, lassen sich so nahezu vollständig herausfiltern – bei gleichzeitig realistischer Rückmeldung über Reibung, Rollwiderstand und Rückstellkräfte.

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Für den Fahrer entsteht dadurch eine klarere, störungsärmere Verbindung zur Fahrbahn – was insbesondere in Langstrecken- oder Premiumsegmenten als Komfortgewinn wahrgenommen werden dürfte.

Neue Freiräume für das Packaging

Ein weiterer technischer Hebel der Steer-by-Wire-Integration liegt im Interieurdesign. Die entfallende mechanische Kopplung zwischen Lenkrad und Vorderachse erlaubt ein flacheres Lenkradlayout. Das schafft nicht nur Raum im Cockpit, sondern verbessert die Sichtachsen auf Displays und erleichtert den Ein- und Ausstieg.

Langfristig ergeben sich daraus neue Möglichkeiten für modulare Plattformen und variable Sitzkonfigurationen – insbesondere im Hinblick auf automatisiertes Fahren.

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Sicherheit durch Redundanz

Technologisch ist das System auf höchste Ausfallsicherheit ausgelegt. Mercedes-Benz setzt auf eine redundante Architektur mit doppelten Signalwegen, separater Spannungsversorgung und mehrfach ausgeführten Aktuatoren. Selbst im Fall eines vollständigen Ausfalls der Vorderachslenkung kann das Fahrzeug mithilfe der Hinterachslenkung und gezielter Eingriffe durch das ESP® quergeführt werden.

Das System wurde nach Unternehmensangaben bereits über eine Million Kilometer auf Prüfständen getestet. Hinzu kommen umfangreiche Validierungen im Realverkehr sowie bei der Gesamtfahrzeugsicherung.

„Steer-by-Wire ist ein weiterer großer Schritt auf dem Weg zur Mobilität von morgen, und wir sind stolz darauf, dass wir 2026 ein solches System auf den Markt bringen werden.“
Markus Schäfer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG, Chief Technology Officer, Entwicklung & Einkauf

Perspektiven über das Lenken hinaus

Auch wenn die Integration in der ersten Phase noch stark auf das Lenkverhalten fokussiert ist, lassen sich weiterführende Anwendungsfelder bereits skizzieren: In Kombination mit SAE-Level-3-Systemen könnten während automatisierter Fahrphasen etwa Entertainment- oder Infotainment-Features in den Vordergrund rücken – unterstützt durch das freie Sichtfeld dank zurückgefahrenem oder zukünftig sogar temporär versenkbarem Lenkrad.

Darüber hinaus ist denkbar, dass sich Gaming-Anwendungen oder Mixed-Reality-Erlebnisse während Standzeiten direkt in die Fahrzeugarchitektur integrieren lassen – eine logische Weiterentwicklung der Benutzeroberfläche im software-definierten Fahrzeug.

Bilder: Mercedes-Benz

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