Spätestens nach dem Sieg bei der Rallye-Mexiko am Wochenende muss man Sébastien Ogier und das Volkswagen-Motorsport-Team als Favoriten auf den Rallye-WM-Titel auf dem Zettel haben. Die Wolfsburger haben es mit dem VW Polo R WRC nicht nur geschafft, in ihrer ersten Saison ein siegfähiges Auto auf die Räder zu stellen. Mehr noch: sie haben erstmals Seriensieger Sébastien Loeb die Schweißperlen auf die Stirn gezaubert. Zutaten des vorzeitigen Erfolges: ein schlagkräftiges Team – und Technik vom Allerfeinsten.
17-monatige Entwicklungsarbeit für alle Einsatzzwecke
Die Aufgabe, ein wettbewerbsfähiges Fahrzeug für die FIA Rallye-WM „WRC“ zu entwickeln, ist äußerst komplex: mal müssen die „World Rally Cars“ maximal geduckt über topfebenen Asphalt heizen, mal quer stehend über Eis und Schnee, mal hochbeinig über rauen Schotter. Je nach Kontinent kommen extreme Temperaturen dazu: hier große Hitze, dort Eiseskälte.
Jede einzelne Komponente des Polo R WRC durchlief auf dem Weg zum Status „ready to race“ mehrere grundlegende Prozesse. Am Anfang der 17 Monate währenden Entwicklungsarbeit stand die Theorie: Parametrisches Konstruieren an CAD-Systemen (Computer Aided Design) wurde von rechnergestützten Simulationen (z. B. CFD – Computer Fluid Dynamics) verifiziert und in der Praxis beispielsweise bei Windkanal-Tests und in der Klimahöhenkammer des Volkswagen Konzerns überprüft. Erst danach folgten ausgiebige Testfahrten.
Die VW-Konstruktionsabteilung steuerte dabei wertvolle Entwicklungsarbeit in Sachen Crashtest und Sicherheit bei. Die Erprobung des Fahrzeuges bei Wasserdurchfahrten wurde ebenfalls durch die Ingenieure der Zentrale in Wolfsburg ermöglicht.
„In der Chassis-Entwicklung spielen Erfahrungswerte eine große Rolle“, sagt François-Xavier Demaison, Technischer Projektleiter für die Rallye-WM. „Gerade was die Bodenfreiheit, die Kinematik, die Aufhängung oder die Auslegung des Differenzials angeht, kann man mit seinem Wissensschatz aus vorangegangenen Jahren Abkürzungen nehmen, ohne die sonst eine lange Simulations- und Testphase nötig wäre. So kann man sich beispielsweise bei der Dimensionierung des Unterbodens langsam von oben oder unten an das Optimum rantasten und dabei viele Kilometer investieren. Bereits zu wissen, wie stark man ein Teil konstruieren muss, spart viel Zeit.“
Hightech-Puzzle mit 3.000 Teilen
Unter der Regie von Volkswagen Motorsport entstand so ein Hightech-Puzzle aus insgesamt etwa 3.000 Teilen, von denen 1.360 für den Motorsport-Einsatz des Polo von Grund auf neu konstruiert wurden – Motor und Getriebe nicht mitgezählt.
Ganz anders als bei der Chassis-Entwicklung ging Volkswagen bei der Konstruktion des etwa 300 Einzelteile umfassenden Motors für den Polo R WRC vor: dem etwa 315 PS starken 1,6-Liter-TSI-Triebwerk. Das automatisierte Wechselspiel aus CAD-Konstruktion und gleichzeitiger Simulation durch CFD-Prozesse führte unter anderem zur idealen Ausgestaltung der Einlasskanäle. Bei der Entscheidung pro oder contra unterschiedliche Konzepte innerhalb der stark limitierten Möglichkeiten des Rallye-WM-Reglements ging Volkswagen streng analytisch vor.
Motorenentwicklung mit verschiedenen Ansätzen
Die Motorenentwicklung bei Volkswagen Motorsport überprüfte im Zuge der Entwicklung alle Optionen, die das Reglement erlaubt, und simulierte ihre Abhängigkeiten voneinander. „Der Motor für die Rallye-WM ist in ganz hohem Maß mit elektronisch gestützten Entwicklungsmethoden konstruiert worden, um Entscheidungen abzusichern“, so Dr. Donatus Wichelhaus, Leiter der Motorenentwicklung von Volkswagen Motorsport. „Dabei war die Mitarbeit von unseren Kollegen aus Serie und Forschung von Volkswagen eine große Hilfe. Sie kam uns vor allem bei automatisierten Entwicklungsschritten bei der Konstruktion – etwa von Einlass-Geometrien – zugute.“ Die Ingenieure um Dr. Wichelhaus überprüften im gesamten Prozess eine breite Basis an unterschiedlichen Lösungen. Zwei verschiedene Hub-Bohrungs-Verhältnisse, drei
verschiedene Zylinderkopf-Konzepte, neun verschiedene Einlasskanal-Geometrien, unzählige Varianten von Injektoren sowie zwei verschiedene Ventildurchmesser wurden überprüft und die jeweils beste Lösung für das endgültige Aggregat ausgewählt. In der Summe führte diese breite Herangehensweise für eine problemfreie Motorenentwicklung, die bei Tests von Beginn an überzeugte. Vor allem das sogenannte Anti-Lag-System zur Reduzierung des „Turbolochs“ bekam im Zuge der Erprobung Bestnoten von den VW-Rallye-Fahrern.
Die technischen Daten des VW Polo R WRC:
Motor:
Bauweise: Reihen-Vierzylinder-Motor mit Abgasturbolader und Ladeluftkühlung, quer vor der Vorderachse angeordnet
Hubraum: 1.600 cm3
Leistung: 232 kW (315 PS) bei 6.250 U min–1
Drehmoment: 425 Nm bei 5.000 U min–1
Luftmengenbegrenzer 33 mm (FIA-Reglement)
Motormanagement: Bosch
Kraftübertragung:
Getriebe: Sequenzielles Sechsgang-Renngetriebe, quer angeordnet
Achsantrieb: Permanenter Allradantrieb mit starrem Durchtrieb zwischen
Vorder- und Hinterachse, Lamellensperrdifferenziale an Vorder- und
Hinterachse
Kupplung: Hydraulisch betätigte Zweischeiben-Sintermetall-Kupplung
Fahrwerk:
Vorder-/Hinterachse: McPherson-Federbeine, Dämpfer von ZF
Federweg: ca. 180 mm bei Asphalt, ca. 275 mm bei Schotter
Lenkung: Zahnstangenlenkung mit Servo-Unterstützung
Bremsanlage: Rundum innenbelüftete Scheibenbremsen (Ø 355 mm bei
Asphalt vorn; bei Schotter vorn und hinten Ø 300 mm)
Aluminium-Bremssättel (vier Kolben rundum)
Felgen: Größe 8 x 18 Zoll für Asphalt, 7 x 15 Zoll für Schotter
Reifen: Wettbewerbsreifen von Michelin
Chassis/Karosserie:
Aufbau: nach FIA-Reglement verstärkte Serien-Stahlkarosserie
Maße und Gewicht:
Länge/Breite/Höhe: 3.976/1.820/1.356 mm
Spurweite: 1.610 mm
Radstand: 2.480 mm
Mindestgewicht: 1.200 kg
Fahrleistungen:
Beschleunigung 0–100 km/h: in ca. 3,9 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit: bis ca. 200 km/h (je nach Getriebe-Übersetzung)